Ändert sich etwas? Letztes Jahr hieß es an dieser Stelle, dass es keine Rolle spielt, in welchem Erdenjahr wie wir uns befinden, wie der Spin um die Sonne verläuft – jedes Jahr blüht es, jedes Jahr strahlen die Bienen in ihren Waben entspannten Gleichmut aus, wenn sie Honig erzeugen. Daher schauen wir ihnen auf eine weitere Ewigkeit zu und lüften den gelb-schwarzen Vorhang für die entscheidenden Momente auf den Konzerten von Ai, Die goldenen Zitronen, Die Heiterkeit, form, Fuck Buttons, Hans Unstern, Retrogott & Hulk Hodn, Massive Attack, Unknown Mortal Orchestra, BadBadNotGood und Flying Lotus.
Ai am 24. Mai im FFT, Düsseldorf
Ihre Musik lebt – wie es öfter im Krautrock ist – von ihrer Wiederholung. Daher ist es unsinnig, einen einzelnen Moment bestimmen zu wollen – vielmehr zählt wie bei einem Langstreckenlauf durch Berg und Tal nicht der einzelne Schwenk oder Ausblick, sondern der Weg. Während das Konzert mit Damo Suzuki aufgrund seiner Schmerzfreiheit und fehlenden Interaktion nicht volles Potenzial entfaltete und der Auftritt beim Open Source funkelnde Perle vor die Sau war, dem ein bisschen die Setenge fehlte, war bei dem Solo im FFT alles gelungen. Die Spannung steigt hinsichtlich des ersten, noch nicht angekündigten, aber hingebungsvoll erwarteten Langspielers.
Die Goldenen Zitronen am 26. Oktober im Grünspan, Hamburg
„Who’s bad – Entscheiden sie selbst, meine Damen und Herren.“ ließ Schorsch Kamerun zum Einstieg verlauten. Schlecht sind mittels Geld und ohne Herz eroberte Räume, gut sind diskursive Punkbands ohne geistige Alterungserscheinungen und hedonistischer, schaler Bierspießigkeit. Konstitutiver Moment: Vielleicht das Lächeln auf Schorsch Kameruns Gesicht, als sie im Zugabeblock „Das bisschen Totschlag“ anstimmen? Oder doch eher Ted Gaiers charmante Erklärung der Entfremdung, mit der Frage, ob das Publikum es kennt, dass etwas nicht stimmt, aber es nicht an ihnen liegt? Schwer zu sagen…
Die Heiterkeit am 27. Februar im FFT, Düsseldorf
Innerhalb ihrer witzigen Performance sticht ein musikloser Moment heraus – der, als die performativ-ironische Fassade für einen Moment bricht und ein Techniker einen Monitor austauscht. Da schwindet der sorgsam einstudierte, böse Blick und weicht einem heiteren Lachen. Der Rest: Gut geschriebene Lieder; zwischen den Zeilen lauern die Gags. „Die Liebe eines Volkes, die Liebe eines Volkes hat mich zur Königin gemacht“ zitiert inzwischen auch gerne mal Bernd Begemann.
Epos, Form und Luk&Fil am 12. April im Waldmeister, Solingen
Epos vergessen auf der Bühne öfter ihren Text, form spielt die Halle leer, Luk&Fil spielen bewusst ihre Gassenhauer nicht, die Interviews sind dilettantisch – der große Antiabend anlässlich des zweiten Geburtstags von Zolin sagt wies so viele Macken auf, dass der Leser sich fragen mag, wieso, weshalb, warum der Bienenjäger diesen latent familiären Konzertabend hier erwähnt. Der Grund ist ein einfacher: Fehler is‘ King. Für jedes Scheitern sonnige Momente. Persönlicher Favorit: forms heimlicher Hit Nix back in the days in der ersten Reihe, mit vier Yüahs und einem Hallelujah.
Fuck Buttons am 3. Oktober im CBE, Köln
Schimmer, schimmer. An dem irisierenden Flügel eines roten Falken kann der Bienenjäger sich schwer satt sehen. Die Musik dazu singt „Boing, ding, ding, ding“ und ein sehr weit gedehntes „Dschuu“. So einfach geht Noise-Hop. Ihre ästhetische Vision schillert und wächst von Aufnahme zu Aufnahme. Im Teilchenquast sind Fuck Buttons die Paranuss, die oben auf surft. Kannst du ihre Welle sehen? Den Moment sehen, aber nicht halten können. Verflixtes, unzugenähtes Menschsein.
Hans Unstern am 23. November im Ringlokschuppen, Mülheim
Nun ist es dem Bienenjäger beinahe unangenehm, schon wieder über Unstern nur Gutes sagen zu können. Aber wenn er nicht die Saiten schlechter Platten und Konzerte führen möchte, sondern gekonnt theatrig auf höchstem Niveau dichtet und singt lässt sich eben nur sagen: Bitte mehr davon. Und in Sachen Moment: Schön zu sehen, wie sich seine Tandempartnerin amüsiert, als Unstern an der Gitarre den Text sucht und leer läuft. Unvorstellbar, wie das nächste Werk klingt – selten so unberechenbar, ein Musiker.
Retrogott & Hulk Hodn am 1. März im Gloria, Köln
Der Retrogott sabbelte drei Stunden lang mit steilem Flow witzig und geistreich, zelebriert die Werte der Hip Hop Tradition, ohne ins Konservative zu kippen und tänzelte gekonnt den Drahtseilakt des Taktloss’schen Verständnisses des Lebens als Freestyle, bei dem niemand weiß, was als nächstes kommt. Anstrengend und erhellend. Es sei ihnen verziehen, dass sie immer wieder das Gleiche wiederholen, nur ein bisschen anders – das Niveau stimmt.
Unknown Mortal Orchestra am 2. Februar im Prince Charles, Berlin
Unknown Mortal Orchestras erster Gig in Deutschland war tatsächlich sehr außergewöhnlich, denn abseits ihres ersten Halts in Berlin fiel bei dem Gig eine Seite der Band auf, die auf keinem ihrer beiden Alben bisher so deutlich zum tragen gekommen ist: Sänger und Frontmann Ruban Nielson ist ein Gitarrengott der alten Schule! Was er an Soli rausholte ist schier unglaublich. Die schwitzende Menge im relativ kleinen Prince Charles dankte es ihm mit wilden Tanzmoves. Aber wie soll man auch bei einer solchen Band stillstehen bleiben?
Massive Attack V Adam Curtis am 29. August im Landschaftspark, Duisburg
Diesen Gig bei den besten Konzerten des Jahres aufzuführen, grenzt eigentlich fast an eine Untertreibung. Nicht alleine deswegen, da der Auftritt eigentlich weniger eine Live-Performance von Massive Attack war – die übrigens Aviciis Levels coverten – sondern vor allen Dingen durch die eindringlichen Bilder des britischen Dokumentarfilmers Adam Curtis getragen wurde. Am Ende steht die Erkenntnis, dass das kein Konzert gewesen sein kann – es war Kunst.
BadBadNotGood am 18. Juli beim Dour Festival, Belgien
Auf den weiten Weg von Toronto aus zur Europa-Tour begaben sich die sehr junge Jazz-Fusion-Trap-Funk-Acid-Heads Matthew Tavares (Keyboard), Chester Hansen (Bass) und Alexander Sowinski (Drums) wahrlich nicht umsonst. Bekannt wurden die drei Jungspunde vor allem durch ihre höchst interessanten Cover-Versionen verschiedener Hip-Hop-Klassiker, Videospiel-Anthems sowie ihre eigenen handfesten Arrangements. Ihr markantes Merkmal des viel improvisierten, angenehm zeitgemäßen, frischen Sounds mit einem Fokus auf Fender Rhodes-Harmonien brannte auch live im großen Zelt des Dour-Festivals den Zuschauern ein euphorisches Strahlen in die verschwitzten Gesichter. Drummer Sowinski macht einen hervorragenden Job als Animateur der Massen, das unglaublich virtuose Handwerk an ihren Instrumenten aller drei liefert den Rest. Als die drei nach einer geschlagenen Stunde voller wunderbar organischer Blasts und Breakbeats auch noch ein Instrumental-Cover des TNGHT Hits Buggin‘ anstimmten, geriet die Meute endgültig außer Rand und Band, was einen absolut großartigen Gig des kleinen Trios zur Live-Überraschung des Jahres machte.
Flying Lotus am 20. Juli beim Dour Festival, Belgien
Bei einer schwindelerregenden Auswahl von knapp 200 (!) Live-Acts auf einer einzigen Veranstaltung über vier Tage inmitten einer beschaulich kleinen belgischen Provinz fiel es 2013 auf dem Dour wahrlich schwer, sich seine Energie und Stunden richtig einzuteilen. Die Frage, ob Flying Lotus zumindest unter den höchsten fünf Must-Sees auf der Liste steht, dürfte sich für uns Europäer, wenn sich die Chance denn bietet, sowieso erübrigen. Und tatsächlich war Steven Ellison, der wohl einflussreichste und zukunftsweisendste Beat-Produzent der Vereinigten Staaten über jeden möglichen Zweifel erhaben: Mit einer atemberaubenden, dreidimensionalen Visual-Show mithilfe von zwei gleichzeitig betriebenen Bildprojektoren, die übereinander gelegt wurden, läutete Flying Lotus für viele Konzertbesucher eine komplett neuartige Vorstellung elektronischer Live-Musik ein. Dazu grandios verknüpfte Konstellationen zwischen markerschütternden Bass-Beats und psychedelischer Traumsphäre, bei denen sich auch sein Rap Alter Ego Captain Murphy die Ehre gab.